Monday, September 18, 2006

Mit irgendwem irgendwohin

Dass Mexiko spontan sei, erwähnte ich bereits. Dass die Mexikaner offen und Gastfreundlich seien, auch. Hier ein weiteres Kapitel.

Freitag so gegen 6 rief mich Israel an, ob ich Lust hätte, mit Freunden übers Wochenende in sein Haus in einem Dorf ... irgendwo ... zu fahren. Den Namen hatte ich nicht verstanden und war mir auch sicher ihn noch nie gehört zu haben, Da ich aber noch nichts vor hatte, und viele Freunde nach Puerto Vallarta gefahren waren, sagte ich kurz entschlossen zu.

Israel kannte ich eigentlich auch nicht, ich hatte ihm am Vortag ein wenig bei seiner Bewerbung für eine deutsche Universität geholfen. Da aber auch die zwei österreichischen Studentinnen mitkommen würden, fand ich die Idee irgendwohin zu fahren nett.

Wir trafen uns um neun, und wieder wartete ein abenteuerliches Gefährt: Ein 28 Jahre alter Maverick... Und wieder wurde die Fahrt, noch bevor sie richtig begann, unterbrochen, weil Israel uns irgendeine Bar zeigen wollte, in der er anfängt zu arbeiten. Die Bar war auch tatsächlich ganz nett (wie mir rückblickend bewusst wird wohl noch so ziemlich das netteste an diesem Abend), wenn auch mit etwas zu abwechslungsreichem Musikmix.














Zwei Bier später setzten wir unsere Fahrt fort, nur um kurz darauf wieder einen Zwischenstop bei Oxxo einzulegen. Ich kaufte mir wieder eine Packung Oreos.

Dann aber fuhren wir wirklich los und kamen mit 2 Stunden Verspätung in diesem Ort, der für mich noch immer namenlos war, an. Israels Freunde (4 Autos voll) hatten schon einige Zeit auf uns warten müssen, nahmen uns das aber nicht weiter übel.

Andere Leute haben einen Partykeller, diese hier hatten ein Partyhaus. Es ist schwer zu beschreiben, deswegen habe ich am nächsten Tag ein paar Bilder gemacht. Was am auffälligsten war, war die Offenheit. Die Räume hatten keine Türen und von dem großen Wohnzimmer mit Küchenzeile konnte man direkt in zwei Räume sehen, in denen Betten standen, nicht nur durch die Türöffnungen sondern auch durch gemauerte Fensterbögen. Im ersten Stock gab es noch einen großen Raum, der zum Matratzenlager umfunktioniert wurde. Genug Schlafmöglichkeiten für zwanzig Leute gab, es wenn man eng zusammenrutschte. Besonders viel zu schlafen, hatte aber sowieso niemand vor.
Außerdem hatte das Haus noch eine Dachterrasse und einen Pool.















Bis zum Ende habe ich den Sinn dieses Hause nicht ganz verstanden. Es hatte zwar die Räumlichkeiten für ein normales Wohnhaus, jedoch sprach die Offenheit dagegen. Vielleicht ließe sich dies noch auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen, aber am nächsten Tag fuhren wir auch noch zu dem Haus der Eltern, die hatten nämlich noch mal ein eigenes. Es wirkte auch insgesamt zwar sehr sauber aber unbewohnt.

Zu der Party am Abend kann ich nicht viel sagen. Um ehrlich zu sein, habe ich mich ziemlich gelangweilt. Die Leute waren jetzt nicht so wirklich meine Wellenlänge, die Mädels, die mitwaren, hatten nur die Funktion Anhang zu sein, und füllten diese Rolle brav aus. Die Jungs tranken etwas zu viel, feierten etwas zu laut, aber ohne wirklich Spaß zu haben. Das ganze erinnerte mich sehr an Freshmen-College-Studenten in den USA, die das erste Mal weg von zuhause alleine Party machen. Irgendwann ab vier bestand die gesamte Konversation nur noch aus lautem „Puuuuutooo, Puuuutissimo“-Gegröle (das heißt so viel wie „Schwuchtel“), und nachdem wir klar gemacht hatten, dass wir nicht so sehr auf Banda-Tanzen stehen verloren sie auch recht schnell das Interesse an uns.

Das erste Mal hatte ich hier auch ein echtes kulturelles Problem. Die ganze Zeit wurden wir gefragt, ob wie nicht noch was trinken möchten, ob wir uns nicht setzen möchten, ob wir nicht vielleicht doch was trinken möchten, oder lieber tanzen, oder doch lieber sitzen, Wasser? Bier?, Sitzen??? Irgendwann war ich echt angenervt – ich konnte ihnen nicht verständlich machen, dass ich tatsächlich in der Lage wäre, selbst zu artikulieren wenn ich einen Wunsch habe, und mir ggf. vielleicht sogar selbst zu dem Gewünschten zu verhelfen im Stande wäre. Irgendwann (zu meiner Verteidigung: es war halb fünf und ich hatte seit 30 Minuten außer „Sitzen, Trinken, Tanzen“ nur Puto, Putissimo gehört) reagierte ich wohl echt gereizt, und dann war der, der gefragt hatte, wieder beleidigt, weil es natürlich unhöflich von mir war, so zu reagieren. Die Mexikaner sind nämlich sehr stolz auf ihre uneingeschränkte Zuvorkommendheit und Höflichkeit: Die Männer tragen einen förmlich über die Straße (ich unterdrückte den Kommentar, ich hätte bereits mit fünf gelernt, eine Straße zu überqueren), selbst klapprige Greise lassen es sich nicht nehmen, einem aus dem Bus zu helfen, und Einladungen abzulehnen ist auch gar nicht so einfach. Normalerweise kann ich damit ganz gut umgehen und es teilweise sogar auch ein wenig genießen, aber an dem Abend hatte ich einfach keine Lust mehr.

Das war dann auch der Punkt, an dem ich beschloss, dass es besser sei, ins Bett zu gehen, und auch eine der beiden Österreicherinnen, Anna, begleitete mich dahin. Die andere hatte inzwischen was mit Israel laufen...

Am nächsten Morgen stand dann plötzlich die Mutter vor der Tür. Offensichtlich war die Party nicht wirklich als Party deklariert worden, und auch die Betten im Erdgeschoss waren nicht zur Benutzung freigegeben. Während die Mutter, Tante und Cousine noch draußen warteten, räumten drei Jungs, die immerhin schon wieder halbwegs stehen konnten, in Windeseile alle Spuren der vergangenen Nacht zusammen und schleppten die Leute, die unten geschlafen hatten die Treppen hoch. Das dauerte beeindruckende drei Minuten.

Was dann folgte beeindruckte mich allerdings noch viel mehr. Mutter, Tante und Cousine fingen an zu putzen. Ich war tatsächlich sprachlos. Sie machten einfach mal das ganze Haus sauber, ohne die Miene zu verziehen, bezogen sie die Betten unten neu, wuschen Wäsche, die Cousine (vielleicht 18 oder 19?) wischte das gesamte Wohnzimmer. In der Zwischenzeit schmuggelten die Jungs ungesehen die leeren Flaschen, die sie aufs Dach befördert hatten aus dem Haus in ihre Autos.

(Okay, auf dem Bild putzen Jungs - das war aber wirklich eigentlich nicht der Fall!!!)












Ich konnte das dann nicht länger mit ansehen (außerdem ging die Fragerei wieder los: ob ich wirklich kein Frühstück wollte?), also machte ich mich auf einen Rundgang durch das Dorf. Das war schnell geschehen. Dies war nicht das Dorf selbst sondern eine Ansammlung von Häusern ein paar Kilometer außerhalb, und wahrscheinlich die ärmste Siedlung in der ich in meinem Leben bislang gewesen bin. Unser Haus war schön und passte überhaupt nicht in die Armseligkeit, die sich darum ausbreitete. Viele Häuser hier hatten keine Fenster oder Türen, Oft war das Dach teilweise eingestürzt und dort wurden dann Tiere gehalten. Straßen gab es hier auch noch nicht, und so waren meine Lederschühchen mal wieder total unpassend (in Zukunft lasse ich sie bei allen Unternehmungen außerhalb von Guadalajara zuhause). Es gab viele Kühe, Esel, Pferde, Hühner. Ich traute mich aber auch nicht, in die Häuser hineinzustarren und so lief ich meist mit gesenktem Blick nur eine kleine Runde und kehrte dann wieder zu unserem Haus zurück.

















Dort war man dann auch fertig mit Putzen und so nahm ich bereitwillig ein Frühstück an. Rührei mit Tortillas und ein Kaffee, der dünner war als Tee und nach Zimt schmeckte. Anna sah auch ziemlich elend aus, sie hatte wohl noch viel schlechter geschlafen als ich (das Schnarchen war tatsächlich ziemlich unerträglich gewesen). Und so einigten wir uns schnell und ohne viele Worte, dass wir einen zweiten Abend dieser Art nicht unbedingt bräuchten.

Da wir sowieso einen Ausflug in das richtige Dorf machen wollten, packten wir schnell unsere Sachen, und nahmen dann aus Sayola (so hieß es nämlich, wie ich dann herausfand) den nächsten Bus zurück nach Guadalajara. Insgesamt war es sicher eine spannende Erfahrung, aber nicht unbedingt zu wiederholen.

Im nachhinein habe ich erfahren:
1. die anderen haben auch keine weitere Nacht dort verbracht: Die Tante hat sie rausgeschmissen
2. Das Haus gehört Onkel und Tante und die wohnen wohl auch ganz normal da.

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